Histologie, Schnellschnitt und künstliche Intelligenz
Herr Prof. Ströbel - was tun Pathologen?
Eine möglichst präzise Diagnose ist die Voraussetzung jeder medizinischen Maßnahme am Patienten und damit einer der zentralen Grundlagen der wissenschaftlich begründeten modernen Medizin. Neben der körperlichen Untersuchung, der Bildgebung und labormedizinischen Analysen gehört auch die mikroskopische Untersuchung von Gewebeproben und Körperflüssigkeiten zu den etablierten diagnostischen Methoden. Für diesen Bereich, also die histologische und zytologische Analytik, ist die Pathologie zuständig.
Was kann man sich konkret darunter vorstellen?
Stellen Sie sich vor, eine Frau bemerkt einen Knoten in ihrer Brust. Ihre Haus- oder Frauenärztin wird nach einer körperlichen Untersuchung zunächst eine Bildgebung, z.B. Ultraschall oder eine Röntgenuntersuchung veranlassen. In vielen Fällen kann hierdurch die Diagnose bereits näher eingegrenzt werden. Um aber zu einer definitiven Aussage zu gelangen, was sich hinter der Veränderung verbirgt, muss sehr häufig eine Gewebeprobe entnommen werden, die dann in der Pathologie untersucht wird. Erst mit einer sicheren Diagnose kann über das weitere Vorgehen entschieden werden, das kann bei einem gutartigen Befund bedeuten, dass gar nichts unternommen wird. Bei einem bösartigen Befund kann das aber auch gravierende Maßnahmen wie eine Operation oder eine Chemotherapie nach sich ziehen.
Wie kommt man von einer Gewebeprobe zu einer Diagnose?
Aus der Probe muss zunächst ein histologisches Präparat hergestellt werden, das unter dem Mikroskop betrachtet werden kann. Hierfür wird das Gewebe zunächst fixiert, damit es nicht verdirbt. Danach wird es in ein Wachsblöckchen eingegossen. Von diesem Wachsblöcken werden mit einem speziellen Schneidgerät, dem sog. Mikrotom, hauchzarte Schnitte mit einer Dicke von 2 Tausendstel Millimetern hergestellt, die anschließend auf ein Glasplättchen (Objektträger) aufgezogen und mit Speziallösungen gefärbt werden. Die fertigen Präparate können dann unter dem Mikroskop betrachtet werden. Es fasziniert mich immer wieder, dass unser Körper (d.h. unsere Zellen und Gewebe) trotz ihrer unfassbaren Komplexität ein zwar riesiges, aber doch mehr oder weniger endliches Spektrum an Reaktionsmustern entwickeln können, die bei allen Menschen - unabhängig von Alter, Geschlecht, oder ethnischer Herkunft - identisch sind. Pathologen haben im Rahmen ihrer Facharztausbildung (die übrigens 6 Jahre dauert) gelernt, diese Reaktionsmuster von Zellen und Geweben zu interpretieren und bestimmten Krankheitsmechanismen und Erkrankungstypen zuzuordnen.
Das hört sich kompliziert an - funktioniert das wirklich immer und bei allen Krankheiten?
Es ist leider vermutlich sogar noch komplizierter: unterschiedliche Krankheitsursachen können teilweise zu identischen oder zumindest sehr ähnlichen Veränderungen im Gewebe führen. In solchen Fällen verwenden wir zusätzliche Methoden wie antikörperbasierte Färbungen oder molekulare Analysen. Wie jede Methode hat aber auch die pathohistologische Diagnostik ihre Grenzen - es geht in der modernen Medizin auch darum, Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen zum Wohle des Patienten zu kombinieren; dadurch wird auch die Pathologie zwangsläufig interdisziplinär und rückt näher an die Klinik heran - eine Tatsache, die das Fach nachhaltig und aus meiner Sicht sehr positiv verändert hat. Besonders in der Krebsmedizin sitzt die Pathologie heute bei vielen zentralen Weichenstellungen für die Therapieplanung mit am Tisch. Diese Weichenstellungen finden im Comprehensive Cancer CenterGöttingen in den täglich stattfindenden Tumorboards statt. Die Bedeutung der Pathologie wird auch daraus ersichtlich, dass die Teilnahme einer/s Patholog*in für die ordnungsgemäße Durchführung dieser Tumorboards zwingend vorgeschrieben ist.
Wie sieht der Arbeitsalltag eines Patholog*in aus?
Zunächst sind wir als universitäre Einrichtung vor allem auch ein Ausbildungsbetrieb, das bedeutet, dass wir neben der studentischen Lehre auch für die Ausbildung der Patholog*innen von morgen verantwortlich sind. Bei uns beginnt jeder Morgen mit einer gemeinsamen Besprechung, in der kurz die anfallenden Aufgaben des Tages besprochen und verteilt werden. Danach diskutieren wir einige aktuelle Fälle, die für ein bestimmtes Thema besonders lehrreich oder sonst didaktisch relevant sind. Da unsere erfahrenen Patholog*innen sich alle auf ein oder mehrere Gebiete spezialisiert haben, sind das Fälle aus sehr unterschiedlichen Bereichen. Im Anschluss gehen die einzelnen Teams an ihre jeweiligen Aufgaben, dazu zählen die Sichtung und der Zuschnitt neu eingetroffener Präparate, die Bearbeitung intraoperativer Schnellschnitte, sowie die Befundung der fertigen histologischen Präparate. Bei uns werden die meisten unserer jährlich etwa 40.000 Fälle von einer/m Weiterbildungsassistent*in vorbegutachtet und dann mit einer/m Fachärzt*in besprochen. Außerdem verbringen wir wie oben beschrieben mittlerweile auch viel Zeit in den täglich stattfindenden Tumorboards.
Sie haben bei Ihrer Aufzählung die Obduktionen gar nicht erwähnt - gehören die denn nicht auch zu Ihren Aufgaben?
Doch, absolut - gerade für die Ausbildung von Studierenden und die ärztliche Weiterbildung und auch für die medizinische Qualitätssicherung halte ich Obduktionen nach wie vor für unerlässlich. Ich sollte an dieser Stelle erwähnen, dass in der Pathologie ausschließlich Obduktionen bei Verstorbenen durchgeführt werden, bei denen von einer natürlichen, d.h. krankheitsbedingten, Todesursache auszugehen ist - alle anderen Fälle werden von speziell ausgebildeten Rechtsmedizinern bearbeite. Es ist allerdings so, dass die Zahl der jährlich durchgeführten klinischen Obduktionen weltweit zurückgeht und für unseren tatsächlichen Arbeitsalltag mittlerweile eine eher untergeordnete Rolle spielt. In Göttingen führen wir im Jahr derzeit etwa 100 Obduktionen durch, was im Vergleich zu den knapp 40.000 histologischen Untersuchungen eher bescheiden ausfällt. Gerade im Zuge der Corona-Pandemie hat die Obduktion aber einen sehr wesentlichen Beitrag für das medizinische Verständnis und die öffentliche Aufklärung gespielt. Die universitären Pathologien in Deutschland haben hier schnell reagiert und sich in einem nationalen Netzwerk organisiert, um hier ihre Erkenntnisse zu bündeln. Dieses Beispiel zeigt, dass die klinische Obduktion nach wie vor eine wichtige Funktion hat und trotz sinkender Fallzahlen erhalten bleiben muss.
Welche Rolle spielen Geräte und Technik in Ihrem Beruf?
Als moderne Disziplin sind wir stark auf innovative Technologien angewiesen. Dies beinhaltet digitale Methoden, die dabei helfen, Verwechselungen unserer vielen Fälle während der komplizierten Prozessierung und Befundung auszuschließen. Jeder dieser Fälle erhält nach seiner Ankunft bei uns einen einzigartigen Barcode, mit dem er jederzeit dem Patienten eindeutig zugeordnet werden kann. Das erfolgt natürlich über eine zentrale Steuerung aus dem Befundsystem, in dem diese Informationen abgelegt sind. Auch alle angeschlossenen Geräte müssen in der Lage sein, mit diesen Barcodes umzugehen. Zum Teil handelt es sich bei diesen Geräten um komplexe Maschinen für hochkomplexe Analysen, z.B. immunhistochemische Färbungen oder molekulare Analysen. Die Anforderungen an die Qualität und die Geschwindigkeit des Prozesses sind so stark gewachsen, dass wir wo immer möglich auf Automatisierung setzen. Es ist mir aber sehr wichtig zu betonen, dass in der Pathologie sowohl bei der Herstellung als auch der eigentlichen Befundung Automatisierung nur unterstützend wirkt - Pathologie ist angewandte Medizin von Menschen für Menschen! Es gibt kein Gerät, dass eine Diagnose an einer Gewebeprobe stellen kann.
Sie sagen, dass ein Gerät keine Diagnose stellen kann - wie verhält es sich mit der sogenannten Künstlichen Intelligenz? Könnte sie in Zukunft nicht Pathologen ersetzen?
Natürlich kann auch ich nicht in die Zukunft sehen. Nach heutigem Stand ist es so, dass künstliche Intelligenz durch Bildanalysen bereits sehr gute Dienste bei der Entscheidungsunterstützung liefern kann, etwa wenn es darum geht, diagnoserelevante Merkmale in einem histologischen Präparat zu identifizieren und kontextabhängig Vorschläge zu machen. Dies gilt aber vor allem für vergleichsweise einfache und gut reproduzierbare Situationen unter technisch optimalen Verhältnissen, die in unserem Untersuchungsgut eher die Ausnahme sind. Ich möchte das Potential der Technologie aber nicht unterschätzen: gute Algorithmen sind bei einzelnen Fragestellungen bereits heute so gut wie erfahrene Patholog*innen. Dennoch bleibt aus vielen und guten Gründen die finale Diagnose und die medizinische Gesamtverantwortung beim Arzt. Ich glaube auch nicht, dass heute schon viele Menschen bereit wären, sich in einem ausschließlich von Maschinen gesteuerten Flugzeug von Frankfurt nach Djakarta fliegen oder von einem Roboter ohne menschlichen Bediener den Blinddarm entfernen zu lassen. Die Technologie könnte aber dabei helfen, weniger spezialisierte Patholog*innen im Sinne eines "Spurhalteassistenten" zu unterstützen und die tägliche Arbeitslast durch Vorsichtung und Priorisierung zu reduzieren. Die moderne Medizin braucht täglich mehr und nicht weniger Pathologie. Angesichts der vielfältigen und komplexen täglichen Aufgaben mache ich mir um die Zukunft meines Faches keine Gedanken - falls wir es schaffen, für einen ausreichend qualifizierten medizinischen Nachwuchs zu sorgen.
Stichwort Nachwuchs - was könnte eine Studienabsolvent*in motivieren, sich in der Pathologie zu bewerben?
Pathologie ist ein echtes klinisches Querschnittsfach - wir arbeiten mit nahezu allen großen Disziplinen zusammen, das ist herausfordernd und zugleich sehr abwechslungsreich. Zusätzlich besteht trotz dieser Breite in der Ausbildung auch die Möglichkeit, sich auf ganz verschiedenen Ebenen zu spezialisieren und zu entwickeln. Das kann ein diagnostisches oder auch ein wissenschaftliches Spezialgebiet sein, es gibt daneben aber auch zahlreiche andere berufsbezogene Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich Didaktik, Qualitätsmanagement, Personalwesen etc. Trotz der steigenden Arbeitsbelastung ist Pathologie noch immer ein Fach, in dem zumindest noch etwas Luft bleibt für wissenschaftliche Betätigung. Aufgrund unserer stark arbeitsteiligen Abläufe besteht in gewissen Grenzen die Möglichkeit für eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit, was den Beruf attraktiv macht für Eltern mit kleinen Kindern. Aufgrund der großen Nachfrage sind sowohl an den Universitäten als auch in der Privatniederlassung die Berufsaussichten derzeit exzellent.
Das könnte Sie auch interessieren